HAJ Hannover Marathon und Internationaler Deutscher Sparkassen-Marathon- ein Bericht von Robert Rohregger
Am Race Day ist er plötzlich wieder da, mein so gerne gesehener Glücksschweinfaktor! Morgens um 7 Uhr ist es zwar mit -3° C immer noch lausig kalt, aber die Wolkendecke ist vorübergehend fast verschwunden und wir fahren der Sonne entgegen. Letzteres einfach, weil Hannover mehr oder weniger östlich der Heimat liegt und das ´wir´ ergibt sich daraus, dass Maren Priemer und Kristina Albers, beide sehr gute TSVE-Läuferinnen, mit mir mitfahren. Davon profitieren wir schließlich alle.
Dank freier Autobahnen – kein Wunder am frühen Sonntagmorgen! – kommen wir überpünktlich am Park&Ride Parkplatz vor den Toren Hannovers an und fahren die restliche Distanz bis zum ´Alten Rathaus´, dem Zentrum des Geschehens, mit der U-Bahn, die sich größtenteils als S-Bahn entpuppt.
Für die Tickets löhnen müssen wir nicht, die sind in der Meldegebühr mit drin.
Eine Laufveranstaltung mit etwa 20.000 Teilnehmern hatten wir schon seit Jahren nicht mehr. Hier schon mal besten Dank an den Veranstalter, die Läufe in Hannover trotz andauernder Pandemie mutig durchzuziehen!
Unterwegs haben wir reichlich Zeit, uns Gedanken über unsere sportlichen Zielsetzungen zu machen.
Kristina, erst seit zwei Tagen von einer Coronaerkrankung genesen, möchte einfach nur ankommen, wenn möglich knapp unter 2 Stunden.
Obgleich wir natürlich alle wissen, dass sie normalerweise sehr viel schneller laufen könnte, klingt das nach einem anspruchsvollen Ziel.
Maren möchte gerne persönliche Bestzeit rennen. Was furchtbar ambitioniert klingt, dürfte tatsächlich ein Klacks sein, denn es ist erst ihr zweiter Halbmarathon-Wellkampf. Sie liebäugelt mit einer Zielzeit von unter 1.45 Stunden. Wenn’s gut läuft, geht vielleicht auch noch ein bisschen weniger.
Mein Ziel ist weniger auf die Laufzeit als auf die Platzierung bezogen.
Ich fühle mich heute gut und möchte gerne erneut aufs Stockerl der Sparkassen-Wertung flitzen. Und weil dafür voraussichtlich eine Zeit unter 1.35 Stunden nötig sein wird, was gefühlt aktuell den obersten Bereich meiner Leistungsfähigkeit auf langen Strecken markiert, will ich versuchen, den Zugläufern mit der Zielzeit von 1.30 Stunden so lange wie möglich zu folgen.
Vor dem Start treffen wir mit der großen TSVE-Laufgruppe zusammen, für die Matthäus Gruben wie stets alles bestens geplant und organisiert hat.
Sehr nett, dass sie einen Einzelstarter der SVB vorbehaltlos integrieren! Und siehe da, mit Bernd Althoff tritt tatsächlich ein zweiter BSG-Athlet in der Sparkassen-Wertung an. Klasse!
Als wir zur Kleiderbeutelabgabe schreiten und uns anschließend das kleine Lauf-ABC zum Warmmachen gönnen, ist es mit 3° C zwar immer noch lausig kalt, vor allem im Schatten, doch da wir mit hochgesteckten Zielen laufen wollen, riskieren wir es in kurz. Um es vorwegzunehmen:
Kalt wird uns erst direkt nach dem Zieleinlauf, als es tatsächlich wieder zu schneien beginnt und dann mit Schneeregen fortsetzt. Während unseres Rennens haben wir das schönste Wetter der letzten Woche:
Sonnenschein, „mollige“ 4° C, teils sogar 5° C und ein tolles Publikum an nahezu jedem Streckenabschnitt heizen uns Halbmarathonis ein.
Pünktlich erschallt der Startschuss. Bei etwa 10.000 nach echten Wettkämpfen lechzenden Halbmarathonis sind die Startblöcke natürlich prall gefüllt. Selbst aus dem hinteren Bereich von Startblock A, von wo aus die vermeintlich Schnellere loslegen dürfen, dauert es geraume Zeit, bis die Startlinie überschritten ist. Macht ja nichts, gewertet wird ja nach Nettolaufzeit.
Ich brauche zwar gut 3 Kilometer, um die mit etwa 50 Metern Vorsprung gestarteten 1.30-Stunden-Zugläufer einzuholen, doch das läuft relativ lässig ab. Ich glaube, heute läuft’s bei mir!
Abgesehen von der Zugläufer-Truppe trägt auch TSVE-Ass Lara Bergtold stark zu meiner bisher guten Performance bei. Schon im Startblock sind wir uns einig, eine Zeit um 1.30 Stunden anzuvisieren – sie etwas drunter und ich möglichst wenig drüber. Und Lara läuft wunderbar konstant wie das berühmte Uhrwerk, so dass ich weiß, dass mein Resultat umso besser ausfallen wird, je länger ich in ihrer Nähe rennen kann.
Während ich dank der präzise die Zeitvorgaben erfüllenden Zugläufer und Lara für meine Verhältnisse extrem konstant laufe und vermutlich auf bestem Weg bin, Kinderhändeabklatschkönig zu werden, läuft’s nur wenig hinter mir mindestens ebenso gut: Maren ballert an der Seite von Matthäus eine schnelle Kilometerzeit nach der nächsten auf Hannovers prall mit Halbmarathonis gefüllte Straßen und auch Kristina läuft die Abschnitte viel schneller als befürchtet. Wenn beide das durchziehen, wird Maren unter 100 Minuten finishen und Kristina deutlich unter 2 Stunden. Bravo!
Um mich vom manchmal heftigen Gegenwind nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, stelle ich so gut es geht auf Automatikmodus um und bewundere Hannovers viele bauliche Sehenswürdigkeiten. Die zu laufende Route ist so clever gelegt, dass wir die meisten davon im Laufschritt passieren.
Und weil dieser Lauf fast ausschließlich topfeben und über gut ausgebaute Straßen verläuft, darf man durchaus seine Blicke wild schweifen lassen, ohne gleich einen Stolperer zu riskieren. So macht das Spaß!
Bei Kilometer 11 habe ich magenmäßig einen größeren Durchhänger, komme dann aber sofort wieder in meinen Rhythmus. Halb so wild, ich büße kaum Zeit ein und kann kurz darauf einige windstille Kilometer oder kleine Passagen mit Rückenwind nutzen, um Kilometerzeiten knapp unter 4 Minuten zu ballern. Läuft! Bis Kilometer 16 jedenfalls, als sich mein Magen erneut vehement meldet. Kotzen oder klotzen? Ich probier’s und zieh das Ding durch, worauf meine Körpermitte flugs zugunsten noch besserer Beinarbeit endgültig Ruhe gibt. Perfekt!
Lara enteilt mir zwar bei Kilometer 18 wieder ein wenig, doch kurz vor der Zielgeraden kann ich wieder etwas vom über 2 Kilometer angesammelten Rückstand abknabbern.
Jetzt will ich die Endzeit von unter 1.30 Stunden! Und es gelingt! Dank der prima Unterstützung der zum Schluss wieder aufkommenden Zugläufer, vor allem aber wegen einem richtig schnellen letzten Kilometer schaffe ich den Halbmarathon in unerwartet guten 1.29.24 Stunden! Das ergibt in der Endabrechnung Platz 235 von 5775 Finishern – cool! Platz 6 in der Klasse von 331 – noch cooler! – und Platz 5 in der Sparkassenwertung insgesamt (!) sowie der Sieg und damit die erfolgreiche Titelverteidigung in der M55. Überwältigend!
Es kommt noch besser: Lara erreicht exakt die gleiche Nettolaufzeit, ist aber natürlich nicht nur wegen ihres vorherigen Zieleinlaufs brutto verdientermaßen vor mir platziert. Gesamtplatz 20 bei den Frauen und Rang 9 in der W30 sprechen für sich. Ganz stark gemacht!
Maren und Matthäus laufen bis zur Ziellinie zusammen und profitieren beide mit einer phänomenalen persönlichen Bestzeit von dem großartigen
Teamwork: 1.37.56 Stunden für Maren und 1.37.55 Stunden für Matthäus lauten die ebenso verdienten wie fantastischen Resultate.
Kristina geht auf der zweiten Rennhälfte zwar coronabedingt und ohne jegliches Training etwas die Puste aus, aber auch sie rettet eine heute früh nicht für möglich gehaltene Endzeit von 1.51.55 Stunden ins Ziel.
Wow!
Zwei weitere TSVE-Athleten sollten aus subjektiver Sicht nicht vergessen werden, nämlich mein einziger Sparkassen-Marathon-Mitstreiter Bernd Althoff und Christoph Schneider, ebenfalls M55-Klassenkamerad und Beinahe-Nachbar, der zuletzt meistens in besserer Verfassung als ich lief.
Christoph startet und finisht etwas vor mir, läuft allerdings auch minimal schneller: Nach exakt 1.29 Stunden überquert er die Ziellinie.
Wie viel lächerliche 24 Sekündchen ausmachen können, zeigt er damit eindrucksvoll, denn Christoph kommt satte 21 Plätze vor mir in die Ergebnislisten und katapultiert sich als Klassen-Dritter sogar aufs Podest. Großartig! Herzlichen Glückwunsch!
Bernd rennt erwartet solide, finisht nach 1.50.13 Stunden und ergattert damit die letzte vergebene zweistellige Klassenplatzierung: Rang 99 in der M55 – das muss man(n) erst mal schaffen! Und noch besser: Mit Rang 3 in der Sparkassenwertung der M55 springt Bernd erstmals überhaupt aufs Einzelpodest. Superklasse!
Als dann tatsächlich kurz nach dem Zieleinlauf erste Schneeflocken aus der nun plötzlich wieder geschlossenen Wolkendecke rieseln, wissen wir erst recht, dass wir heute wirklich alles richtig gemacht haben. Mein Auto wird niemals zuvor ein zufriedeneres Trio transportiert haben, so viel ist schon mal sicher!
Als dann nach wenigen Heimfahrkilometern auch noch gefühlt „die Welt untergeht“ und ein heftiger Schneeregen aufs Auto pladdert, erreicht zuerst unsere Stimmung den Höhepunkt und etwa ein Stündchen danach das Auto heimatliche Gefilde. Was für ein Sonntag!
Die intensiven Blicke auf die Ergebnislisten sorgen heute nach dem Duschen für den nächsten Freudensprung, denn jetzt habe ich meinen insgesamt schon siebten Triumph beim Sparkassen-Marathon sogar schwarz auf weiß und bunt. Angefangen hat alles beim 2011er Heimspiel in Bielefeld mit dem Doppelsieg in der Einzel- und der Teamwertung. Weitere Halbmarathon-Klassensiege in Ulm 2014, Plauen 2016, Heidelberg 2017, Halle / Saale 2019 und jetzt, nach zwei Jahren mit coronabedingt ausgefallenen Bewerben, in Hannover. Sechs Einzelsiege und weitere drei Podestplätze in Freiburg, Düsseldorf und Berlin, da kann wirklich keiner meckern!